Rheinerlebnisse: Geschichten vom großen Strom

Der Rhein in Nordrhein-Westfalen

Motiv: Sammlung RheinRomantik, Bonn

Motiv: Sammlung RheinRomantik, Bonn

Transportweg und Wirtschaftsfaktor, aber auch Ort der Romantik und des Reisevergnügens – Geschichte und Gegenwart Nordrhein-Westfalens lassen sich nicht beschreiben, ohne auf den Rhein als Lebensader des Landes einzugehen. 226 Kilometer durchmisst er in NRW, zu seinem Einzugsgebiet zählen zwei Drittel der Landesfläche. Wir gehen an Bord, steuern durch Zeiten und Regionen und laufen Förderprojekte der NRW-Stiftung an, die sich entlang des Stroms mit Schifffahrt, Handel und Häfen von der Römerzeit bis heute befassen.

Die ersten Kilometer des Rheins in NRW gehören noch zum Mittelrheintal. Es endet jedoch, wenn dem Siebengebirge auf Bonner Stadtgebiet der Höhenzug des Ennerts folgt. Eine von der NRW-Stiftung geförderte Aussichtsplattform, der Skywalk Rabenlay, bietet hier grandiose Blicke über die Flusslandschaft. Fachleute nennen sie den „Godesberger Rheintaltrichter“, an den sich nach Norden hin der Niederrhein anschließt – jener große Stromabschnitt, der allein dem Land NRW zugehörig ist. Zwar gibt es bei unseren niederländischen Nachbarn ebenfalls einen „Nederrijn“. Dabei handelt es sich aber nur um einen Strang des weiträumigen Rheindeltas, das sich kurz nach der Grenze verzweigt und mit den drei Armen Waal, Lek und IJssel in die Nordsee mündet. Doch nun Leinen los. Wir lassen uns vom Siebengebirge aus stromabwärts gleiten.

Stein und Stapel, Zoll um Zoll

Vor zweitausend Jahren hätten wir bei unserem Vorhaben vielleicht auf einem Lastkahn gekauert, inmitten mächtiger Steinblöcke, denn die Römer nutzten die Rheinströmung dazu, um Trachyt vom Drachenfels und Tuff aus der Eifel rasch nordwärts zu transportieren – Baumaterial für ihre Städte und Kastelle am „nassen Limes“. Spannend wäre auch der Blick ins spätere Mittelalter, als das Drachenfelsgestein auf riesigen Rutschbahnen zu Tal befördert und anschließend auf dem Fluss zur Baustelle des Kölner Doms verfrachtet wurde. Doch wir springen zunächst ins Jahr 1520. Der berühmte Maler Albrecht Dürer ist mit seiner Frau Agnes per Schiff aus Nürnberg ins Rheinland gekommen. Er hat die prunk-volle Kaiserkrönung Karls V. in Aachen und den darauf folgenden „Fürstentanz“ im Kölner Festhaus Gürzenich gesehen. Von Köln zieht es das Paar nun weiter rheinabwärts.

Albrecht Dürer war Künstler und Geschäftsmann. Unermüdlich fertigte er auf der Reise Auftragszeichnungen an, verkaufte mitgeführte Grafiken und versuchte überdies, mithilfe eines „Zollbriefs“, den ihm der Bischof von Bamberg ausgestellt hatte, den zahllosen Abgabestätten ein Schnippchen zu schlagen, die sich an den Flüssen aufreihten wie Perlen an der Schnur. Zum Glück hielt ihn das sogenannte Stapelrecht nicht noch zusätzlich auf, durch das reisende Kaufleute in manchen Städten gezwungen wurden, ihre Waren vor der Weiterfahrt eine Zeitlang vor Ort aufzustapeln, sprich: anzubieten. Dürer bestätigte auf Verlangen mit Brief und Siegel, keine „gemeine Kaufmannsware“ mit sich zu führen.

Die vertauschten Ufer

Der Bamberger Zollbrief leistete auf dem Main gute Dienste und funktionierte oft auch am Rhein. Fast würde man sich wünschen, es hätte für Dürer ein paar mehr Schwierigkeiten gegeben, vor allem an der kurkölnischen Zollburg Friedestrom in Zons. Wir müssten uns dann kaum mit der flüchtigen Nennung dieses historisch bedeutenden Orts im Reisetagebuch des Meisters zufriedengeben. Das malerische Zons ist einen Ausflug wert, für den Erhalt seines mittelalterlichen Stadtbildes hat sich die NRW-Stiftung bereits mehrfach engagiert. Sie förderte die denkmal- und naturschutzgerechte Sanierung der historischen Stadtmauer, aber auch die Restaurierung des Mühlenturms und die Aufstellung eines tastbaren Stadtmodells.

Der Rhein verlief bei Zons ursprünglich in einer Schleife. Erst 1374 suchte er sich bei einem schweren Hochwasser einen geradlinigeren Weg an der Stadt vorbei. Dadurch geriet zugleich ein adliges Landgut, das auf den Fundamenten eines römischen Limeskastells ruhte und das bis dahin linksrheinisch dicht bei Zons gelegen hatte, unversehens auf die rechte, aus Römersicht „barbarische“ Seite des Flusses. Doch ohne seine festen antiken Grundmauern hätte Haus Bürgel, von dem hier die Rede ist, die Flut wohl überhaupt nicht überstanden – und nur so konnte es 2021 in das UNESCO-Weltkulturerbe „Niedergermanischer Limes“ aufgenommen werden. Das Gut war zu Dürers Zeiten im Besitz der Herren zu Daun-Falkenstein. Heute gehört es zum Gebiet der Stadt Monheim und ist Eigentum der NRW-Stiftung, die seine Bewahrung und Entwicklung als wichtige archäologische Stätte und spannender Museumsstandort verbürgt.

Drachenkampf vor Düsseldorf

Wir wissen nicht, ob das Ehepaar Dürer je eins der großen Flöße sah, die früher auf dem Rhein unterwegs waren und die im Laufe der Zeit immer gigantischere Dimensionen annahmen. Im 18. Jahrhundert bündelten sie das Holz von bis zu 150 Hektar Wald, bestimmt meist für die Niederlande. Anschauliche Vorstellungen der Kolosse, die Besatzungen von rund fünfhundert Mann benötigten, vermitteln große Modelle im Siebengebirgsmuseum Königswinter und im Schifffahrtsmuseum Düsseldorf. Der alte Schloss-turm, der letzteres beherbergt, erlebte indes noch eine völlig andere Art der Flößerei, als sich zu seinen Füßen einst der Kampf zwischen einem Wal und einem Drachen abspielte – beide auf Flöße montiert und von Feuerwerk umwittert auf dem Rhein schwimmend.

Das spektakuläre Schauspiel fand 1585 bei den Hochzeitsfestlichkeiten für Herzog Johann Wilhelm von Berg und Markgräfin Jakobe von Baden statt. Es unterstreicht, dass sich Vater Rhein in seiner langen Geschichte auch als Zeremonienmeister zu bewähren wusste. Bisweilen gab er sich sogar regelrecht staatstragend, so als der Sarg des 1967 verstorbenen Bundeskanzlers Konrad Adenauer von einer feierlichen Flottille ziviler und militärischer Schiffe nach Bad Honnef überführt wurde. Dass sich im Jahr zuvor tatsächlich ein Beluga-Wal in den Strom verirrt hatte, bis Bonn schwamm, dabei aber sichtlich unter dem schadstoffbelasteten Wasser litt, sollte bei allem offiziellen Glanz gleichwohl nicht vergessen werden. Das Ereignis fachte die ökologische Debatte in der Bundesrepublik stark an.

Für besonderen Luxus im Dienste der Repräsentation sorgte auf dem Rhein jahrzehntelang das außergewöhnliche Ratsschiff der Stadt Köln, ein 1938 gebautes, bis 1945 aber ungenutztes Schmuckstück mit Sonnendeck, Salon, Gäste- und Besprechungsraum. Nach dem Krieg fuhr es zunächst unter US-Flagge, dann für den Hohen Kommissar Frankreichs, bevor Köln es 1952 zurückerhielt. Rat und Oberbürgermeister nutzten es bei besonderen Anlässen, an Bord kamen zudem Staatsgäste wie Queen Elizabeth oder John F. Kennedy. Wegen zu hoher Kosten dümpelte das schwimmende Denkmal ab 2009 leider tatenlos und vom Rost bedroht im Hafen. Glücklicherweise hat ihm inzwischen ein aktiver Förderverein eine neue Zukunft gegeben. Die NRW-Stiftung unterstützte die originalgetreue Sanierung des Schiffs, auf dem Vorstandsmitglied Prof. Barbara Schock-Werner bereits als Ehrenkapitänin begrüßt wurde.

Staatsstreich in Kaiserswerth

Uns tragen die Wellen derweil nach Kaiserswerth. Schon greifbar nah sind die Ruinen der mittelalterlichen Kaiserpfalz, die hier im 12. Jahrhundert unter Friedrich Barbarossa und Heinrich VI. gebaut wurde. Ein Leitsystem und ein großes Modell (siehe auch S. 46), beide gefördert von der NRW-Stiftung, ermöglichen bei der Besichtigung schnelle Orientierung über den geschichtsträchtigen Ort. Auch in „Kaiserswördt“ – so Dürers Schreibweise – gab es übrigens einmal eine Zollstätte. Der Geldbeutel des Künstlers blieb hier aber anscheinend genauso unbehelligt wie zuvor in Zons.

Bereits vor Barbarossas Zeiten existierte in Kaiserswerth eine ältere Pfalzanlage. Sie wurde im Jahr 1062 zum Schauplatz eines fast romanhaften Geschehens, eines Staatsstreichs, in dessen Mittelpunkt der 1050 geborene Heinrich IV. stand, jener Monarch, der durch seinen späteren Gang nach Canossa berühmt wurde. Dass er schon als Kind den Königstitel trug, brachte seinerzeit den mächtigen Kölner Erzbischof auf die Idee, ihn seiner Mutter zu entreißen und selbst die Vormundschaft zu übernehmen. Bei einer Zusammenkunft in Kaiserswerth ließ er den neugierigen Heinrich auf ein prächtiges Schiff locken. Als es mit verdächtiger Hast ablegte, versuchte sich der kleine König noch durch einen Sprung in die Wellen zu retten, die Entführer fingen ihn jedoch wieder ein. Man brachte ihn nach Köln und erpresste von seiner Mutter die Herausgabe der Reichskrone – der Anschlag war gelungen.

Rheinkilometer 780

Es ist nicht mehr allzu weit bis zum Stromkilometer 780, wo die Ruhr in den Rhein fließt. Während sich das Ehepaar Dürer hier noch an dem längst nicht mehr existierenden Schloss Ruhrort orientieren konnte, dient uns seit 1992 eine weithin sichtbare Stele namens „Rheinorange“ als Landmarke. Wir befinden uns bei den Duisburg-Ruhrorter Häfen, dem größten Binnenhafenkomplex der Welt, wo 2022 rund 105 Millionen Tonnen Güter umgeschlagen wurden. In unmittelbarer Nähe liegt außerdem das Museum der Deutschen Binnenschifffahrt, das seit 1998 im ehemaligen Ruhrorter Hallenbad Exponate präsentiert, die jede Vitrine sprengen würden – einen fünfzehn Meter langen keltischen Einbaum zum Beispiel oder einen ausgewachsenen Frachtsegler aus dem Jahr 1913.

Zu den verschiedenen Stationen unter freiem Himmel, die das Museum zusätzlich betreibt, gehört ein Dampfdrehkran von 1897, der als letztes Exemplar seiner Bauart in Deutschland gilt. Der „Förderverein für ein maritimes Ruhrort“ hat sich erfolgreich für die Bewahrung des technischen Denkmals engagiert. Doch Maschine Stopp! Wann begann eigentlich die Dampfschifffahrt auf dem Rhein? Die Frage lässt sich exakt beantworten: Alles fing im Jahr 1816 mit dem englischen Raddampfer „Defiance“ an, dem bald deutsche Dampfer folgten. Die Dichterin Annette von Droste-Hülshoff beschrieb sie einige Jahre später aus eigener Anschauung als „Höllenmaschinen“, die Geräusche machten wie ein brennendes Haus. Sie war trotzdem keineswegs eingeschüchtert, sondern fasziniert von einer Verkehrsrevolution, die wesentlich dazu beitrug, den Rhein als klassisches Ziel der frühen Tourismusgeschichte zu etablieren.

Der Elefant von Lippeham

Anders als die höllische Maschine der Droste gleiten wir lautlos weiter nach Wesel, wo die Lippe in den Rhein mündet und wo das frühere Preußen-Museum seit 2018 als LVR-Niederrheinmuseum firmiert. Gerne würden wir in der Umgebung auch den Ort Lippeham besuchen, in dem vor gut 1.200 Jahren ein Tier mit ungewöhnlichem Schicksal den Tod fand – der Elefant Abul Abbas, der als Geschenk des Kalifen Harun ar-Raschid an Karl den Großen von Bagdad ins Rheinland gelangt war. Acht Jahre lebte der Dickhäuter im fränkischen Reich, bis er 810 wohl einem Infekt zum Opfer fiel, kurz nachdem man ihn aus nicht sicher geklärten Gründen über den Rhein transportiert hatte. Lippeham könnte in Wesel-Bislich zu lokalisieren sein, wo man heute auf das von der NRW-Stiftung geförderte „Deichdorfmuseum“ stößt. Es befasst sich unter anderem mit dem regionalen Rheinverlauf, dem Hochwasserschutz und auch mit Karl dem Großen. Schon im 18. Jahrhundert glaubte man übrigens, die Gebeine von Karls Elefanten an der Lippe tatsächlich entdeckt zu haben, doch handelte es sich zweifellos um eine Verwechslung mit Mammutknochen, die in der Gegend manchmal auftauchen.

Die Geschichte von Abul Abbas gleicht einem traurigen Märchen, ist aber historisch verbürgt. Doch wo sind auf unserer Fahrt eigentlich Rheinsagen und Rheinromantik geblieben? Fast auto­matisch wendet sich der Blick bei dieser Frage zurück ins Siebengebirge, von dem sich einst englische Künstler wie Lord Byron und William Turner zu großen Werken inspirieren ließen. Und zugegeben: Im Kreis Wesel würde man auch das rheinische Neuschwanstein – Schloss Drachenburg am Drachenfels – vergeblich suchen. Trotzdem sind wir keineswegs an der falschen Adresse, schließlich kam Siegfried, der Drachentöter, laut dem Nibelungenlied aus Xanten, wo deshalb das „SiegfriedMuseum“ spannende Einblicke in die berühmteste deutsche Dichtung des Mittelalters vermittelt. Man findet das Museum in der Altstadt nahe des Xantener Doms, sollte daneben aber keinesfalls den Archäologischen Park Xanten mit dem LVR-Römermuseum verpassen. Sie erzählen die Geschichte der Römerstadt Colonia Ulpia Traiana, die nicht zuletzt dank ihres Rheinhafens lange blühte.

Gegen den Strom

Die Reise von Albrecht und Agnes Dürer führte über Emmerich weiter in die Niederlande. Unser letztes Ziel ist jedoch Grieth, heute ein Ortsteil von Kalkar, zu Dürers Zeiten eine eigenständige Stadt mit Zoll- und Stapelrechten. Viele Menschen lebten hier früher vom Treideln, dem Schleppen von Schiffen an langen Leinen, ohne das eine Flussfahrt bergauf, das heißt gegen den Strom, im vormaschinellen Zeitalter nicht möglich gewesen wäre. Oft noch findet sich die Bezeichnung „Leinpfad“ für alte Uferwege am Rhein. Über Treidler und Treidelpferde konnte das  Heimatmuseum Grieth früher in seinem eigenen Ausstellungsraum erzählen. Leider musste es ihn 2020 aufgeben, so dass derzeit nur ein kleiner Teil der Sammlung in einem benachbarten Café zu sehen ist. Mit gutem Grund hofft die Griether Museumsinitiative aber auf einen Neubeginn. Denn wo sonst sollte man widriger Strömung trotzen, wenn nicht in einem alten Treidelort?

Text: Ralf J. Günther

Schiffsbrücke, Aalschokker, Hochwasser

Immer wieder haben die Menschen das Flusssystem des Rheins verändert. Die Wuppermündung in Leverkusen wurde in den 1970er Jahren zugunsten eines Deponiebaus sogar um einige hundert Meter verlegt. Die ursprüngliche Mündung ist seitdem nur noch eine Ausbuchtung des Rheins, nach wie vor aber Standort einer historischen Schiffsbrücke, die über drei Plattbodenschiffe verläuft. Eins davon ist ein sogenannter Aalschokker, eine am Rhein ehemals häufige Bootsform, die es erlaubte, mit riesigen Netzen große Mengen Fisch zu fangen und in flussdurchspülten Bordbassins zu halten, so dass ein täglicher Verkauf nicht zwingend war. Einen solchen Aalschokker, die Aranka, findet man als schwimmendes Denkmal auch vor Bad Honnef, einen weiteren, die Maria Theresia, am Museum der Fischerei-Bruderschaft zu Bergheim, unweit der Einmündung der Sieg in den Rhein. Bedauerlicherweise ist die Schiffsbrücke an der alten Wuppermündung wegen starker Hochwasserschäden seit 2021 nicht mehr zugänglich. Der Förderverein setzt jedoch auf einen Neuanfang und hofft auf Spenden.